Die „Verbandshochzeit“ bei der Stasi in Gosen

Aus Naturschutzbund und Naturschutzbund wird Naturschutzbund Deutschland e.V.

„Das Zusammenwachsen von DBV und Naturschutzbund der DDR hat formal am 17. November 1990 stattgefunden. In Gosen, wo eine große Veranstaltung war. Natürlich war das für mich auch ein ganz besonderer Anlasse. Ich habe von Dürkop ein Buchpräsent überreicht bekommen. Als Dank dafür, was in den ganzen Monaten vorher gelaufen ist. Mein Vater ist das einzige Mal in seinem Leben auf eine NABU-Bundesversammlung gekommen. Aus Gerlingen. Um sich anzuhören, wie der Sohnemann auch einen Dank bekommen habe.“
– Dr. Markus Rösler, Interview v. 8.11.2015

„Na ja, es war eine Art Vereinigungsparteitag, wenn ich das mal so sagen darf. … Das Eine war natürlich die eigentliche Veranstaltung, da im dunkelsten Gosen. Das Andere war aber eben die Zeit davor.“
– Rolf Bonkwald, Interview v. 7.11.2015

„Ich habe zwar den Raum irgendwie noch so vor Augen, es war ein mit so dunklem Holz ausgetäfelter Raum, in dem man, ja, wie im Hörsaal saß.“
– Christian Unselt, Interview v. 21.10.2015

„Das war nicht so – jetzt fallen wir uns alle um den Hals, sind alles liebe Menschen. Wir waren schon Eins. Was ich als sehr angenehm empfand, das war die Akzeptanz, die gegenseitige Akzeptanz. Es war wirklich ein Zusammengehen, also wie zwei Flüsse, die zusammenfließen.“
– Dr. Dietrick Knorre, Interview v. 11.8.2015

„…da hat man gedacht: ‚Ja, jetzt haben wir gesellschaftlich auch ein bisschen an der Geschichte mitgewirkt.“
– Jochen Flasbarth, Interview v. 16.9.2015

Es war kurz nach 9 Uhr als der Vorsitzende des Naturschutzbund Deutschland e.V., Klaus Dürkop, am 17.11.1990 im Gebäude des ehemaligen „Kombinats Gosen“ bei Berlin die Bundesvertreterversammlung eröffnete. 13 Stunden dauerte es, bis die 91 Delegierten aus den Landesverbänden und dem Präsidium die 17 Tagesordnungspunkte abgearbeitet hatten. Der Zusammenschluss der ost- und westdeutschen Landesverbände des Naturschutzbunds zum Naturschutzbund Deutschland zog sich dabei als roter Faden durch die Sitzung.

Zunächst fasste Dürkop in einem Lichtbildervortrag die Entwicklungen der vergangenen Monate zusammen. Anlässlich internationaler Tagungen seien bereits im Dezember 1989 erste Gespräche mit den Ornithologen der ehemaligen DDR geführt worden. Am 19. Januar hätte in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Naturschutzring der erste deutsch-deutsche Umwelt-Kongress stattgefunden und am 13. Februar 1990 wäre auf einem Seminar in Sunder von den rund 50 anwesenden Naturschützern verschiedenster Fachrichtungen beschlossen, in den sich „bildenden neuen Ländern Landesverbände unter der Bezeichnung ‚Naturschutzbund‘ zu gründen“. Ferner ließ er die Delegierten wissen, dass die Gründung der ersten Landesverbände bereits Ende März erfolgte und dass am 1. September in Sachsen-Anhalt der letzte Landesverband entstand.

Besondere Worte des Dankes richtete Klaus Dürkop an jene tatkräftigen Naturschutzkollegen, die die „schwere Aufgabe auf sich genommen hatten, die neuen Landesverbände ins Leben zu rufen“ sowie den Landesverband Berlin für die „Bereitstellung von Räumlichkeiten für das Ost/West-Naturschutzbüro“. Er schloss seinen Bericht mit der Feststellung, dass „die positiven Errungenschaften der Verbandsarbeit in beiden deutschen Gesellschaftssystemen jetzt zu einer sinnvollen Einheit verschmolzen“ [1] werden konnten. Zu den Ehrenamtlichen, bei denen sich Dürkop mit einem Buchpräsent bedankte, gehörte u.a. Markus Rösler, der vom Ost-West-Büro in Westberlin aus, den Wendeprozess unterstütze.

Unter Nr. 3 rief Dürkop den Tagesordnungspunkt „Zusammenschluß mit den Landesverbänden der ehemaligen DDR“ auf. Er berichtet, dass der auf der außerordentlichen Bundesvertreterversammlung des DBV am 6. Mai 1990 in Worms „an das Präsidium gestellte Auftrag, mit den entsprechenden Naturschutzbund-Organisationen in der DDR mit dem Ziel zu verhandeln, einen gemeinsamen Verband zu bilden“ vom Präsidium „nachgekommen“ worden sei [1]. Die Landesverbände und das Präsidium hätten den Zusammenschluss mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 schriftlich vereinbart. Nachdem die Vertreter der ostdeutschen Landesverbände in kurzen Ausführungen ihre Wünsche und Vorstellungen an die zukünftige Zusammenarbeit vorgetragen hatten, kam es zur offiziellen Unterzeichnung der Urkunde durch die Vorstände der anwesenden Landesverbände und den Präsidenten.

Zentraler Punkt der verabschiedeten Satzungsänderungen war die Bildung von Bundesfachausschüssen. Damit wurde Verbandsmitglieder erstmals die Möglichkeit eröffnet, sich außerhalb der üblichen Gliederungsstruktur zusammenschließen zu können, um sich in „besonderer Weise mit spezifischen Fragestellungen des Natur- und Umweltschutzes“ zu befassen. Die ersten von der Bundesvertreterversammlung genehmigten Bundesfachausschüsse (Ornithologie, Herpetologie, Mykologie) und Arbeitsgemeinschaften (Weißstorchschutz, Kranichschutz, Fledermausschutz) standen in der Tradition der ehemaligen zentralen Fachausschüsse der Gesellschaft für Natur und Umwelt der DDR. Auf Antrag des Landesverbands Niedersachsen entstand zudem ein BFA für Fragen des Umweltrechts. Das Präsidium erhielt den Auftrag, auch zu den Themen Abfall, Chemie und Energie oder Landwirtschaft die Gründung von BFAs und BAGs voranzutreiben.

Mit der Wahl von Prof. Dr. Michael Succow in das Amt des 3. Vizepräsidenten, der Berufung von Kurt Kretschmann in das Ehrenpräsidium sowie der Aufnahme von sechs Delegierten der neuen Landesverbände bildete sich die neue gesamtdeutsche Struktur des Naturschutzbunds auch in den Verbandsorganen ab.

Naturschutzpolitische Akzente setzten die am späten Abend verabschiedeten Resolutionen „Anforderungen an die Regierungen der fünf neuen Bundesländer“ und „Truppenübungsplätze und Naturschutz“ [1].

Als die Bundesvertreterversammlung laut Protokoll gegen 22 Uhr endete, war ein Stück deutsch-deutsche Geschichte geschrieben worden. Ein Tagesordnungspunkt, für den sich der Landesverband Niedersachsen mit einem Antrag stark gemacht hatte, war jedoch unbehandelt geblieben: Soll der Naturschutzbund Deutschland seinen Namen abkürzen und wenn ja, mit welchem Kürzel?“

Fußnoten:

[1] Protokoll der Bundesvertreterversammlung vom 17.11.1990

 

Text: Ralf Schulte

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