Naturschutz in der Wende – Ein Zeitzeugenprojekt
„Also man durfte in diesen Tagen nicht einen einzigen Tag krank sein, dann war man raus. Dann wusste man nicht mehr, wo geht die Reise hin?“
– Hubertus Meckelmann, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg, Interview v. 21.10.2015
Im November 1990 schlossen sich der neu gegründete Naturschutzbund der DDR mit dem im Westen etablierten Deutschen Bund für Vogelschutz (DBV) zum Naturschutzbund Deutschland zusammen. Was im Rückblick als kurzes Augenzwinkern der deutsch-deutschen Geschichte erscheint, war ein physischer und emotionaler Kraftakt
„Ich hatte dir mal etwas zur Saatkrähe geschickt. Daraus ergab sich dann der erste Briefwechsel.“
– Thomas Tennhardt, im Gespräch mit Dr. H-J. Stork
Die Naturschützer in Ost und West verband – über Grenzsperranlagen und politische Systeme hinweg – die Liebe zur Natur und die ausgeprägte Leidenschaft, sich für den Schutz von Tieren und Pflanzen stark zu machen. Sie schrieben sich Postkarten oder tauschten Schriften. Im Wende-Winter 1989/1990 trafen daher nicht Fremde sondern vielfach „alte Bekannte“ aufeinander.
Der Fall der Mauer initiierte einen regen Austausch zwischen den DBV-Naturschützern im Westen und den GNU-Naturschüzern im Osten. Im Frühjahr 1990 waren die Tage des Kulturbunds und der Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU) gezählt. Das Hauptaugenmerk richtete sich auf die Schaffung eines neuen ostdeutschen, vielleicht sogar gesamtdeutschen Dachs für den ehrenamtlichen DDR-Naturschutz.
Das Ost-West-Büro des DBV in Berlin-Schöneberg fungierte in den ersten Monaten des Jahres 1990 als Informationsdrehscheibe zwischen Ost und West.
Viele Naturschützer der GNU beschäftigte die Frage nach der Zukunft ihres Engagements für Natur und Umwelt. Nicht wenige lehnten ein Weiterso ab. Gleichzeitig sollte die Zersplitterung vermieden werden. Es galt, eine Struktur zu finden, die für möglichst viele von ihnen ein neues gemeinsames Dach bilden konnte.
Der Deutsche Bund für Vogelschutz (DBV) bot sich neben anderen westdeutschen Naturschutzvereinigungen als Partner an. Ziemlich schnell war jedoch klar, dass es ohne die Änderung des Verbandsnamens und ohne die Bereitschaft zur Integration der GNU-Fachgruppen keine gemeinsame Zukunft als deutsch-deutscher Naturschutzverband geben würde.
„Als die Grenze auf war, waren die Ornithologen Ost und die Ornithologen West sofort zusammen. Da gab es überhaupt keine Berührungsängste. Da gab es keine Ressentiments, kein nichts, gar nichts.“
– Waltraud Zoels
„… ich glaube, es gab bei ganz vielen Leuten in der GNU … den großen Wunsch, dass doch die Naturschützer in der DDR sich auch in Zukunft unter einem Dach irgendwie befinden und nicht zersplittern.“
– Dr. Markus Rösler, ehemaliger Leiter des DBV-Ost-West-Büros, Interview v. 28.8.2015
„… was ich als sehr angenehm empfand, das war die Akzeptanz, die gegenseitige Akzeptanz. Es war wirklich ein Zusammengehen, wie zwei Flüsse, die zusammenfließen. … Am Anfang hört und sieht man Gletscherbäche. Da ist das noch ein bisschen getrennt und dann durchmischt es sich. Und da gab es nicht das Geringste, was man als ein Knirschen bezeichnen könnte. Es war einfach eins.“
– Dr. Dietrich von Knorre
„Da haben wir uns am Anfang auch sehr gerieben. Wir hatten immer das Gefühl, wir sollten hier im Osten ganz ruhig sein und von Westen wird alles dirigiert. … Da haben wir uns also, sagen wir mal, sehr haarig auseinandergesetzt.“
– Dr. Christoph Kaatz
Im Naturschutzbund Deutschland e.V. fanden sich Naturschützer zusammen, deren fachliche Arbeit durchaus von unterschiedlichen Ansichten und Ansätzen geprägt war. Beim Weißstorchschutz trafen Menschen aufeinander, die sich dem gemeinsamen Ziel der Rettung des DBV-Wappenvogels aus unterschiedlichen Richtungen näherten. Meinungsverschiedenheiten und Konflikte standen immer mit auf der Tagesordnung.
Gleichzeitig stellten sich die Wende und der „Aufschwung Ost“ vor gemeinsame Herausforderungen. Es galt, das noch verborgene Tafelsilber des DDR-Naturschutzes, die Militärübungsplätze, zu retten und auch in den Städten und Gemeinden dafür zu sorgen, dass Natur und Umwelt nicht unter die Räder kommen.