Patenschaften machen aus Ost- und West-Naturschützern NABUs

„… man denkt ja, man hat kulturelle Unterschiede – aber nichts da. Das war immer das Schöne … im Naturschutz, dass die Naturschützer sich untereinander einfach verstanden. Da gab es keine großen Debatten. … Das war natürlich ein Riesenplus.“
– Thomas Tennhardt, Interview v. 27.7.2015

Mit dem Fall der Mauer begann – national wie auch international – die Diskussion um die Zukunft der beiden deutschen Staaten. Sollten die DDR und die Bundesrepublik selbstständige Staaten bleiben? Wäre eine Konföderation, wie sie Helmut Kohl vorschwebte, eine bessere Alternative? Oder sollte eine Wiedervereinigung angestrebt werden? Die Diskussionen fanden im Bereich des Naturschutzes ihre Entsprechung.

Deutsch-Deutsches Umwelttreffen in Berlin

„Damals gab es im Januar ein deutsch-deutsches Umwelttreffen. Viele aus den Regionen und aus Brandenburg sind dann am 28., 27. Januar 1990 dorthin und haben Kontakt aufgenommen. Das war eine Riesenveranstaltung, hunderte Naturschützer, die Räume haben nicht gereicht, 22 Arbeitsgruppen. Das war ein Riesenauflauf, der sich da zusammenfand. Und man hatte so ein warmes Gefühl, wenn so viele Gleichgesinnte da aufeinandertrafen. Das war ziemlich spannend und ziemlich schön.“
– Hans-Jörg Wilke, Interview v. 9.9.2015

Das erste deutsch-deutsche Treffen von Umweltschützern, zu dem der DNR für das letzte Jaunar-Wochenende 1990 nach Berlin einlud, wurde ein Stück weit auch von Überlegungen für einen gesamtdeutschen Umwelt- und Naturschutzverband bestimmt.

Wichtiger als Strukturfragen waren den mehr als 1.500 Teilnehmern jedoch fachliche Aspekte. In nicht weniger als 22 Arbeitsgruppen erörterten sie die „dramatische Umweltsituation in der DDR“, die sich „zuspitzende Umweltgefährdung in der Bundesrepublik“ sowie die „globale Umweltkrise“.

Am Ende des Treffen der Spitzenverbände des Naturschutzes stand die deutsch-deutsche „Berliner Erklärung“, in der ein „ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm“ von 200 Milliarden Mark gefordert wurde. Dem Spiegel berichtete Helmut Röscheisen, Geschäftsführer des Deutschen Naturschutzrings (DNR), dass es an „an allen Ecken und Enden“ brodeln würde, dass allenthalben aber auch neue Aktivitäten keimen würden.

So hatte der damals 185.000 Mitglieder starke Deutsche Bund für Vogelschutz wenige Tage vor dem Treffen die Eröfffnung eines „Ost-West-Büro“ in West-Berlin angekündigt. Markus Rösler, der ehrenamtliche Leiter des DBV-Arbeitskreises DDR, hatte bereits am 13.12.1989 in einem Rundschreiben an die DBV-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Chancen hingewiesen, die die politische Entwicklung für die Zusammenarbeit mit den ehrenamtlichen DDR-Naturschutz bieten würde. Gleichzeitig informierte es darüber, dass die DBV-Landesgeschäftsstelle in Hannover zeitgleich ein Schreiben an ca. 60 Personen in der DDR mit Multiplikatorfunktion senden würde, um sie zur Kontaktaufnahme einzuladen. Unter Hinweis auf die zum 1.1.1990 erleichterten Einfuhrbeschränkungen gab er dazu bedenken, dass dann auch „Materialien aller Art, insbesondere auch Geräte zur Herstellung von Materialien (z.B. Fotokopierer, Schreibmaschinen, Drucker etc …)“ nötig sein würden. Neben dieser materiellen Unterstützung würde es aber insbesondere darum gehen müssen, vorhandene Kontakte zu intensivieren und neue Kontakte zu schließen. Ein „ganzes Netzwerk von ‚Umweltpartnerschaften‘ über die deutsch-deutsche Grenze hinweg“, sei „sicherlich ein Ziel, auf das sich hinzuarbeiten lohnt.“

„Den Naturschützern in der DDR will der DBV anbieten, sich über Ziele, Aufgaben und Probleme eines privaten Naturschutzverbandes in der Bundesrepublik Deutschland zu informieren“, teilte DBV-Präsident Dürkop anlässlich der Büro-Eröffnung in einer Pressemitteilung mit. Er ließ ferner wissen, dass die Gründung eines privaten Naturschutzvereins in der DDR, der „dem Staat auf die Finger sieht“ aus Sicht des DBV für dringend erforderlich sei.

Kontakte auf allenen Ebenen

“ Wie können wir die Naturschutzbewegung in Thüringen auf diese westlichen Naturschutzverhältnisse einstimmen? Wie können wir ihnen die Informationen geben, wie es bei uns läuft? Was bei uns nicht so gut läuft, was sie beachten müssen. Wir haben deshalb Naturschützer aus Thüringen zu einem Seminar eingeladen – einem Wochenendseminar in unser Naturschutzzentrum. Das lief 1990. Da kamen 35 Naturschützer aus Thüringen und haben dann … Programm von zwei Tagen gehabt. … War ein sehr toller, geselliger Kreis. Und so hat sich eine sehr schöne Partnerschaft mit den Naturschützern aus Thüringen aufgebaut.“
– Siegfried Schuch, NABU-Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz, Interview v. 7.11.2015

Zur besseren Annäherung und zur Förderung des Zusammenwachsens vereinbarten der Naturschutzbund der DDR und der DBV im Frühsommer 1990 Patenschaften zwischen den Landesverbänden. Der DBV-Landesverband Rheinland-Pfalz nahm Kontakt zum Thüringer Naturschutzbund aus. Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern hatte den LV Hamburg als Patenschafts-Landesverband. Nordrhein-Westfalen unterstützte Brandenburg und Niedersachsen half bei Strukturaufbau in Sachsen-Anhalt. Ziel war es, möglichst schnell funktionsfähige Strukturen aufzubauen und die Arbeitsfähigkeit der Landesverbände herzustellen. Die Unterstützung erstreckte sich von der Überlassung von Fotokopierern bis hin zur Beratung bei der Beantragung der Anerkennung als Naturschutzverband nach § 29 Bundesnaturschutzgesetz.

„Die Aussicht, daß wir Ihnen bei Ihrer Arbeit helfen können, hat uns sehr gefreut.”
– Eberhard F. Erb, brfl.

Parallel zu den Kontakten, die sich zwischen den Spitzen des DBV und dem ehrenamtlichen DDR-Naturschutz sowie zwischen den Landesverbänden entwickelten, entstanden auch an der Basis des Verbandes vielfältige Beziehungen. Auf Vermittlung des Ost-West-Büros, als Reaktion auf Anfragen oder auf Grund privater Initiativen bildeten sich Partner-, Paten- und Freundschaften. Am Ende stand ein gemeinsamer Verband – der Naturschutzschutzbund Deutschland.

Die ostdeutschen Gruppen waren durchaus angetan von den zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten des politischen Teilhabe und Einflussnahme. Die westdeutschen Partner zeigten sich ihrerseits tief beeindruckt von dem Artenreichtum und der Vielgestaltigkeit von ‚wilder‘ Natur, die im Schatten der Großindustrie und industrialisierten Landwirtschaft in der DDR erhalten geblieben war. Auf beiden Seiten herrschte Aufbruchstimmung, aber auch Skepsis hinsichtlich des Zugriffs auf Natur. Der sogenannte Aufbau-Ost brachte die Naturschutzakteure in einen enormen Zugzwang, der Beschleunigung des Naturverbrauchs durch Infrastruktur- und Modernisierungmaßnahmen eine politische Strategie und Stimme entgegenzusetzen.

Die Freundschaft zwischen einzelnen Aktivistinnen und Aktivisten zeugte von einer hohen Solidarität in einer für viele Ostdeutsche existentiell schwierigen Situation, in der ihre gesamte Lebenswelt ‚umgebaut‘ wurde. Die folgenden Beispiele stehen stellvertretend für viele Partnerschaften, die sich bildeten.

Aus der Städtepartnerschaft zwischen dem niedersächsischen Springe und der Müritzstadt Waren ging eine Partnerschaft der „Fachgruppe Ornithologie Karl Bartels im Kulturbund der DDR“ mit der DBV-Ortsgruppe Springe hervor.

Die Naturschützer des Kulturbundes, die sich in Schwedt um das Ehepaar Gille herum gruppierten, nahmen Kontakt zum Kopfweiden-Spezialisten Erich Staudt vom DBV in Moers auf. Eine junge Korbmacherin aus Schwedt hatte ihn bei einem Vortrag kennengelernt und daraufhin die Kontaktaufnahme empfohlen.

Im „Kielwasser“ der Partnerschaft der Lebenshilfe im hessischen Bensheim mit der Lebenshilfe Niesky enstand auf Initiative von Eberhard F. Erb ein Austausch zwischen den örtlichen Naturschutzgruppen. Aus der ersten Besuchsreise der Bensheimer zu den Vogelkundlem im Oberlausitzer Heide- und Teichgebiet entwickelte sich eine bis heute andauernde Freundschaft zweier NABU-Gruppen.

Zwischen Walter Gräf, Vogelschützer aus dem hessischen Wildeck-Obersuhl, und Klaus Schmidt aus Thüringen entwickelte sich in der Wendezeit ein reger vom Naturschutz getriebener Austausch über die Landesgrenzen hinweg. Sie nutzen die eine einmalige Chance und versuchten auf das relativ wenig besiedelte Grenzgebiet die Hand draufzubekommen.

„Wir mussten versuchen, die wichtigsten Gebiete zu erkennen und zu schützen. Da sind an wenigen Wochenenden im Januar 1990 von einer kleinen Gruppe aus Thüringen und aus Hessen die Grundlagen für das Biosphärenreservat Rhön gelegt worden. Und für über 100 Naturschutzgebiete im Grenzbereich Hessen und Thüringen sind die Karten gemalt worden und die Anträge gestellt worden.“
– Klaus Schmidt, Weißstorch-Landesbetreuer des NABU Thüringen, Interview v. 11.8.2015

Doch es waren nicht immer konkrete Naturschutzprojekte, die im Mittelpunkt der Ost-West-Begegnungen standen. Im Fall der Naturschutzaktiven aus dem thüringischen Ilmenau und dem pfälzischen Landau bildete das gegenseitige Kennenlernen von Land und Leuten die Grundlage für eine bis heute andauernde Freundschaft.

„Wir haben uns in Nürnberg getroffen. Das war der erste Kontakt. Die kamen von Norden und wir kamen von Südwesten. Das hat sofort gefunkt. War toll, eine tolle Begegnung. … Gemeinsame Naturschutzprojekte machen wir nicht. Aber wir haben halt Kontakt.“
– Werner Kern, NABU Landau, Interview v. 8.11.2015

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