Getrennt, aber nicht unbekannt

Von 1961 bis 1989 trennte die beiden Staaten auf deutschem Boden eine Grenze, die in vielerlei Hinsicht als nicht oder nur schwer überwindbar gilt. Todesstreifen mit Metallgitterzäunen und Selbstschussanlagen stehen nicht für freien Austausch und Durchlässigkeit. Der Naturschutz ist ebenfalls davon betroffen, in Teilen aber auch wiederum nicht.

Die Naturschützer in Ost und West verband– über Grenzsperranlagen und politische Systeme hinweg – die Liebe zur Natur und die ausgeprägte Leidenschaft, sich für den Schutz von Tieren und Pflanzen stark zu machen. Vor und vielleicht auch wegen dieses Hintergrunds gelang es den im Naturschutz Engagierten über die Jahrzehnte hinweg, Wege des Austauschs zu entwickeln und zu pflegen. Im Wende-Winter 1989/1990 trafen daher nicht nur Fremde, sondern vielfach „alte Bekannte“ aufeinander und begannen eine gemeinsame Zukunft zu denken.

Ost-West-Kontakte mittels Postkarten

Westdeutsche Naturschützer besuchen den Müritzhof, die Landeslehrstätte für Naturschutz in der DDR (Foto: Dürkop)

„Postkarten sind meist rechteckige Karten, in der Regel aus Karton, die als offen lesbare Mitteilungen per Post verschickt werden“, heißt es bei Wikipedia. Wer mittels Post- und Ansichtskarten kommuniziert, kann kaum Geheimnisse haben. Diese Annahme galt auch für die Korrespondenz zwischen den Naturschützern in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland.
Postkarten waren daher vielfach das Kommunikationsmittel der ersten Wahl. Mit ihnen ließen sich sich zumindest kurze Nachrichten oder Informationen über Naturbeobachtungen oder Fachfragen austauschen, ohne dass dadurch gleich das Interesse der Staatssicherheit geweckt wurde.

Tausche Neue-Brehm-Bücher gegen Horst Sterns NATUR

„1982 war eine Naumann-Tagung in Köthen. Da habe ich ihn persönlich kennengelernt und habe mit ihm einen Schriftentausch vereinbart. Ich habe Ost-Zeitschriften, Fachzeitschriften, zu ihm geschickt. Er hat mir andere Sachen geschickt.“
– Lutz Reißland, Interview v. 7.11.2015

Besuch des Naturschutzgebiets Stoltera auf Rügen im August 1980 (Foto: Dürkop)

Zu den Besonderheiten des ehrenamtlichen Naturschutz der DDR gehörte dessen hohe wissenschaftliche Orientierung. Ausdruck der Wissenschaftlichkeit waren die zahlreichen Mitteilungsblätter und Schriftenreihen, wie sie u.a. von den Fachausschüssen des Kulturbunds als Periodika veröffentlicht wurden. Unter den Naturschützer im Westen waren diese Druckerzeugnisse heiß begehrte Seltenheiten. Gleiches galt für in der DDR verlegte naturwissenschaftliche oder naturschutzfachliche Literatur.

Für DDR-Umwelt- und Naturschützer gehörten hingegen West-Zeitschriften wie Horst Sterns Umweltmagazin „Natur“, die DBV-Mitgliederzeitschrift „Naturschutz heute“ oder insbesondere auch das Berliner Naturschutzmagazin „Grünstift“ zu Informationsquellen, die sich nur über gute Beziehungen organisieren ließen. Ihr Besitz konnte auch durchaus das Interesse der Staatssicherheit wecken.

Dem Schriftentausch fiel somit eine wichtige Rolle bei der Kontaktaufnahme und der Kontaktpflege zwischen Ost und West zu.

Gemeinsam mit der Stasi zum Müritz-Seminar

Exkursion im Stecky-Lödderitzer-Forst (Foto: Dürkop)

Die Durchlässigkeit der „Zonengrenze“ – wie die innerdeutsche Grenze im Westen häufig genannt wurde – war zumindest was die West-Ost-Richtung betrifft, stärker ausgebildet als für die Gegenrichtung. Wer als Naturschützer in West-Berlin lebte, reiste wie selbstverständlich in den Osten. Besuchte die Linumer Teiche oder andere sehenswerte Naturgebiete. Wer in Westdeutschland lebte und in die DDR zum Beispiel zu Verwandtenbesuchen einreisen wollte, hatte es etwas schwerer, aber unmöglich war es nicht.

In den grenznahen Gebieten bot ab 1972 der so genannte „Kleine Grenzverkehr“ Einwohnern der Bundesrepublik die Möglichkeit zur Einreise in die DDR. Naturschützer aus dem hessischen Wildeck pflegten auf diese Weise persönliche Kontakte zu Gleichgesinnten in der DDR.

In den 1980er Jahren entstand sogar ganz offiziell und unter Beteiligung offizieller Stellen wie dem Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz (ILN), der Karl-Marx-Universität Leipzig oder auch der Spedition Deutrans ein Austauschprogramm. So bereiste im Mai 1980 eine Gruppe aus westdeutschen Naturschutzexperten auf Einladung der DDR die besonders wertvollen Naturschutzgebiete der Ostseeküste. Angefangen vom NSG Graswarder in Schleswig-Holstein über das Steilküsten-Schutzgebiet von Stoltera bei Rostock-Warnemünde bis hin zu den Kreidefelsen auf Rügen. Dr. Lebrecht Jeschke leitete die Studienreise. Den bundesdeutschen Naturschutz vertraten unter anderem die Professoren Wolfgang Erz und Günter Preuß sowie Klaus Dürkop für den DBV.

Bis in den September 1989 hinein wurden mindestens sechs solcher Einladungen ausgesprochen. Zuletzt hatten sie sogar den Charakter von Hochschulseminaren. Das Interdisziplinäre Zentrum für internationale Wirtschaftsbeziehungen der Alma Mater Lipsiensis bescheinigte die Teilnahme mit dem Diplom „Naturschutz in der DDR“. Zu den Zielen, die besucht wurden, zählten u.a. der Müritzhof, der Stecky-Löderitzer Forst oder das Elbsandstein-Gebirge. Seitens des DBV nahmen neben Klaus Dürkop u.a. Hermann Klingler aus Nordrhein-Westfalen oder Rolf Bonkwald vom Landesverband Hamburg an diesen Reisen teil.

Ein Grenzgänger besonderer Art war Markus Rösler. Der in der Naturschutzjugend des DBV aktive Student arbeitete von 1998 bis 1989 in der Studiengruppe „Naturschutz in der DDR“ der Technischen Universität Berlin mit. Auf zahlreichen Exkursionen nach „drüben“ lernte er den DDR-Naturschutz kennen. Im November 1988 bekam er die außergewöhnliche Chance als „Praktikant Rösler“ in einem Institut der Universität Greifswald zu arbeiten.

Offizielle Kontakte zum Bundesnaturschutz in der BRD

„Wir glauben, daß die Begegnung beiderseits über den Meinungsaustausch und die weiteren Beziehungen einschließlich des Schriftentausches nützlich sein wird.“
– Prof. Dr. Gerhard Kneitz, brfl. (Bundesarchiv)

Geländebesprechung mit Prof. Wolfgang Erz (li. blaue Jacke) und Dr. Lebrecht Jeschke (re. in Gummistiefeln) (Foto: Dürkop)

Führenden Mitgliedern der Bund Naturschutz (BN) in Bayern bot sich im Mai 1986 die Möglichkeit an einer Delegationsreise in die DDR teilzunehmen. Im Anschluss schlug die Verbandsspitze der Leitung des Kulturbundes vor, das „zwischen dem Kulturbund der DDR und dem BUND offizielle Kontakte aufgenommen werden und falls es möglich ist, ein Freundschaftsabkommen geschlossen wird„. Da sowohl der Staatsratsvorsitzende Honecker als auch der Vizepräsident des Kulturbunds, Dr. Reichelt, die Anregung „grundsätzlich befürwortete“, wurde „ein erstes Treffen in Aussicht genommen“ und der 1. Bundessekretär des Kulturbundes der DDR, Karl-Heinz Schulmeister, teilte dem Vorsitzenden des BUND, Prof. Dr. Gerhard Kneitz, brieflich mit: „Wir glauben, daß die Begegnung beiderseits über den Meinungsaustausch und die weiteren Beziehungen einschließlich des Schriftentausches nützlich sein wird.“ Im Mai 1987 kam es in Dresden zu dem vereinbarten Treffen. [2]

Neben dem BN und dem BUND suchten auch die Naturfreunde, die bereits auf „Kontakte zu gleichartigen Organisationen in mehreren solzialisten Ländern, die sich immer enger gestalteten“ Kontakt zu den Natur- und Umweltschützern des Kulturbunds. [3]

DDR-Naturschutz auf internationaler Ebene

Offizielle Reisen von DDR-Naturschützern in nicht-sozialistische Länder waren die Ausnahme und wenigen Privilegierten vorenthalten. Aber auch sie boten Gelegenheit zum Kennenlernen und zur Kontaktpflege. So trafen 1989 die DBV-Teilnehmer der ICBP-Konferenz im türkischen Adena mit der DDR-Delegation unter der Leitung des Potsdamer Wasservogel-Experten Prof. Dr. Erich Rutschke zusammen. Er sollte dort die Mitgliedschaft der DDR im ICBP aushandeln, deren deutsche Sektion bis dahin einzig vom DBV gebildet wurde.

Vielleicht war es auch dem Interesse der DDR nach internationaler Anerkennung geschuldet, dass es Dr. Christoph Kaatz vom Storchenhof Loburg, der „still und heimlich“ in Kontakt zu Hartmut Heckenroth von der niedersächsischen Fachbehörde für Naturschutz pflegte, mit dessen Hilfe gelang, „im Jahre 1987 die erste und letzte DDR-Internationale Weißstorchtagung in Loburg“ durchzuführen. Neben osteuropäischen Weißstorchfachleuten war „auch der böse Klassenfeind“ in Person von Hartmut Heckenroth vertreten. „Er kam mit sehr viel Schriftmaterial hier und wurde natürlich toll gefeiert. Das war eigentlich so ein Höhepunkt kurz vor der Wende auf dem Gebiet des Weißstorchschutzes.“ [4]

Fußnoten:

[1] n.n.
[2] n.n.
[3] n.n.
[4] Dr. Christoph Kaatz, Interview v. 25.08.2015

 

Text: Ralf Schulte

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