Strukturen der Büros
Massenweise Material in den Osten geschickt
„Das DBV-Ost-West-Büro und die Kontakte des DBV in die DDR waren ein Fulltime-Job. Mit garantiert 12 Stunden am Tag und 60 Stunden die Woche oder mehr. Und das über Monate.“
– Dr. Markus Rösler
Die Mauer war gerade gefallen, da wurde Markus Rösler beim DBV-Präsidium vorstellig. Er empfahl, auf die Schnelle eine Präsidiumssitzung einzuberufen. Seine Idee: Die Einrichtung eines Ost-West-Naturschutzbüros in Berlin, das als Anlaufstelle für Naturschützer aus der DDR dient und die Kontaktaufnahme des DBV mit dem DDR-Naturschutz koordinieren solle. Das DBV-Präsidium folgte Röslers Vorschlag, zumal er zusagte, bei der Deutschen Umwelthilfe eine finanzielle Förderung zu beantragen.
Tatsächlich gelang es ihm, innerhalb weniger Wochen 30.000 DM zu organisieren. Bereits Ende Januar 1990 stand der Einrichtung des Büros in Schöneberg nichts mehr im Wege. „Den Naturschützern in der DDR will der DBV anbieten, sich über Ziele, Aufgaben und Probleme eines privaten Naturschutzverbandes in der Bundesrepublik Deutschland zu informieren“, teilte DBV-Präsident Dürkop anlässlich der Büro-Eröffnung in einer Pressemitteilung mit. Er ließ ferner wissen, dass die Gründung eines privaten Naturschutzvereins in der DDR, der „dem Staat auf die Finger sieht“ aus Sicht des DBV für dringend erforderlich sei.
Als Mitarbeiter für das Ost-West-Büro gewann Rösler seinen Kommilitonen Albert Lorenz. Die beiden Landschaftsplanungsstudenten organisierten bis zum Sommer 1990 unter anderem den Versand. „Tonnenweise“ schickten sie Informationsmaterial in die DDR. Unter anderem wurden im März 1990 rund 40.000 Faltblätter „Rettet die Nuthe-Auen“ über das Büro verteilt und eine Unterschriftenaktion durchgeführt. Adressen von DDR-Naturschützern waren Gold wert. Deshalb werteten sie u.a. die naturkundlichen Schriftenreihen aus. Ende Juni konnte Michael Succow „60.000 oder 70.000 Adressen in der DDR“ anschreiben und für die Mitgliedschaft im Naturschutzbund der DDR werben. Um Portokosten zu sparen, erfolgte der Versand der Materialien immer wieder – am Rande der Legalität –über die Post der DDR.
Neue Standorte in Hohenschönhausen und Gosen
„… wahrscheinlich war die Geschäftsstelle in Ost-Berlin sogar personell besser besetzt als die in Bonn. Aber das war wirklich eine – muss man im Nachhinein sagen – Wahnsinnsaktion, die wir dort gemacht haben. Es waren dort wirklich ausgewählt gute Leute, wo ich teilweise heute noch mit zu tun habe …“
– Beatrix Losem, Interview v. 26.11.2015
In der zweiten Jahreshälfte 1990 verlor das Ost-West-Naturschutzbüro zunehmend an Bedeutung. Albert Lorenz schied als Mitarbeiter aus, um sich seiner Diplomarbeit zu widmen. Robert Schimmelpfennig kam neu hinzu und stand bis September halbtags zur Verfügung. Markus Rösler wechselte von Berlin an den Rand der schwäbischen Alb und arbeitete von dort aus weiterhin im deutsch-deutschen Naturschutz mit.
Zu den letzten Aufgaben, die Rösler und Lorenz von Schöneberg aus organisierten, gehörte es, die Büroausstattung für das neu entstehende Büro des Naturschutzbunds der DDR nahe des Bahnhofs Hohenschönhausen [1] zu beschaffen. Zur Verfügung standen ihnen 4.000 DM, die sie vom DBV erhalten hatten und die sie in über 10.000 DDR-Mark eintauschten. Damit kauften sie auf dem DDR-Markt „ganz offiziell irgendwelche Sessel, Möbel und alles Mögliche für die Geschäftsstelle des Naturschutzbundes der DDR“. Zum Schluss blieben über 3.000 DDR-Mark übrig. Und weil es günstiger war, wurden sie von Markus Rösler „auf dem Schwarzmarkt wieder in West-Mark zurückgetauscht“.
Von der Egon-Erwin-Kisch-Str. 106 in Berlin-Hohenschönhausen aus koordinierte Prof. Michael Succow, der mittlerweile als Umweltminister ausgeschieden und für den DDR-Naturschutzbund tätig geworden war, zusammen mit Dr. Rolf Casper, dem früheren Sekretär des Zentralvorstandes, sowie einer Büromitarbeiterin den weiteren Aufbau des Verbands und seiner Landesverbände. Zu den ersten Schritten, die eingeleitet wurden, gehörte der am 2.7.1990 an den Umweltminister der DDR, Prof. Dr. Karl-Hermann Steinberg, gerichtete Antrag auf Anerkennung als Naturschutzverband nach § 29 BNatSchG [2].
Für gut zwei Jahre wurde darüber hinaus eine ehemals von der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) in Gosen genutzte Liegenschaft zum Dreh- und Angelpunkt für den Aufbau des Naturschutzbunds und seiner neuen Landesverbände. Unter der Leitung von Dr. Helmut Schieferndecker, dem ehemaligen Sekretär des Ökologieausschusses der Akademie der Wissenschaften der DDR, fanden in Gosen bis zu 10 ABM-Mitarbeiter einen neuen Arbeitspaltz. Sie koordinierten die Arbeit der Fachausschüsse des Naturschutzbunds und betreuten die Publikationen, die in Fortführung der DDR-Fachzeitschriften, herausgegeben wurden.
Unterstützt wurde der Strukturaufbau von der Bundesgeschäftsstelle des DBV in Bonn. Dort sahen sich der Bundesgeschäftsführer, Günter Mitlacher, und seine Stellvertreterin,Beatrix Losem damit konfroniert, den Prozess, für den es keine Blaupause gab, „in geordnete Bahnen zu bringen und auch entsprechende Beschlüsse im Präsidium, im Hauptausschuss in der Bundesvertreterversammlung vorzubereiten, so dass die Vereinigung von ostdeutschen Verbänden und Naturschützern mit dem etablierten Deutschen Bund für Vogelschutz in eine geordnete Reihenfolge“ (Mitlacher) kam. Sie mussten „alle zwei Wochen nach Berlin fliegen … und dann mit dem Auto quer durch Berlin, von Tegel bis nach Gosen und wieder zurück“, um den Aufbau der neuen Landesverbandsstrukturen zu unterstützen (Losem). Gleichzeitig galt es die Entwicklung der DBV-Landesverbände und Aktiven nicht aus dem Auge zu lassen, denn dort waren viele „einfach politisch noch gar nicht soweit“. Für „das Gros der Mitglieder und der organisierten Gruppen … (war) das Ganze eigentlich … eine Nummer zu groß oder zu politisch“ (Mitlacher) [3].
Von zentraler Bedeutung für den Aufbau der Naturschutzbund-Strukturen in den entstehenden Ost-Bundesländern war eine finanzielle Förderung durch das MUNR, die nach der Wiedervereinigung vom BMU bearbeitet wurde.
Als es Succow und dem DBV-Bundesgeschäftsführer Günter Mitlacher „intern zu Ohren gekommen war, dass bei der jetzigen Außenstelle des BMU noch nicht alle verfügbaren Fördermittel verteilt“ waren , gelang es ihnen „aus dem Handgelenk“ einige Fördermittelanträge auf den Weg zu bringen. Unter anderem beantragten sie Mittel für die „längerfristige finanzielle Absicherung des Institutsvorhabens“. [4]
Mit Hilfe der Bundeszuwendung wurde Gosen zum Sitz des Instituts für Ökologie und Naturschutz (IfÖN) ausgebaut. „So um die 25 Mitarbeiter, die dann die … Erstanalyse von Truppenübungsplätzen machen sollten“ [4] fanden im Rahmen von ABM-Projekten eine Beschäftigung. Mit dem Ende der ABM-Förderungen schmolz Gosen auf nur noch drei Stellen ab. Im Herbst 1993 erfolgte die Verlegung des Standorts von Gosen nach Eberswalde, wo Christian Unselt die Leitung übernahm. Heute firmiert das Institutsvorhaben als Institut für Agrarökologie und Biodiversität und hat seinen Sitz in Mannheim.
Fußnoten:
[1] Die interviewten Zeitzeugen erinnerten sich bezgl. der Bürostandorte des Naturschutzbunds in Ost-Berlin unterschiedlich. Der Grund dafür ist, dass es mehr oder weniger zeitgleich zwei Naturschutzbund-Büros in Hohenschönhausen gab. Das Büro der Geschäftsstelle des Naturschutzbunds der DDR mit Prof. Succow und Dr. Caspar am S-Bahnhof sowie die Geschäftsstelle des DBV-Landesverband Berlin in der Hauptstraße.
[2] Gemeinsame Pressemitteilung des Naturschutzbund der DDR und des Naturschutzbund Ost/West-Büros zur Beantragung der staatlichen Anerkennung vom 3.7.1990
[3] Interview mit Günter Mitlacher und Beatrix Losem vom 26.11.2015
[4] Brief von Prof. Michael Succow an die Landesverbände Ost des Naturschutzbund Deutschland vom 20.11.1990
[4] Interview mit Christian Unselt vom 15.10.2015
Text: Ralf Schulte