Strukturen Aufbauförderung
Von blauen Transits, Rasenmähern und Dichtschäumen
„Wir haben dann einen Antrag gestellt. In einer Größenordnung von 700.000 D-Mark, wo explizit „der Aufbau der Landesverbände und der Geschäftsstellen mit entsprechender Infrastruktur“ drin stand. Bedingung war die Anerkennung nach §29.“
– Günter Mitlacher
„Bereitstellung von Infrastrukturmitteln für in der DDR einzurichtende Geschäftsstellen des Naturschutzbundes Deutschland angeschafft mit Zuschüssen aus Bundesmitteln“ stand als Betreff am Anfang eines Briefs, den die Bonner Geschäftsstelle des Naturschutzbunds im Oktober 1990 an den Landesverband Mecklenburg-Vorpommern schickte. Das Schreiben diente als eine Empfangsbestätigung für einen bereitgestellte Fotokopierer, Telefaxgeräte, Computer mit Drucker und diverse andere Büroausstattungen, deren Anschaffung mit Hilfe von finanzieller Förderung des Bundes erfolgt war.
Voraussetzung, um in den Genuss der Starthilfe kommen zu können, war die Anerkennung nach § 29 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). Der dazu erforderliche Antrag war am 3.7.1990 beim Umweltministerium der DDR gestellt und im August positiv beschieden worden. Diese Fördermittel konnte jenen landesweit tätigen Naturschutzverbänden zu Teil werden, die in ihrer Satzung Natur- und Umweltschutz als Vereinszweck definiert hatten. Die Starthilfe wurde vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit ausgesprochen. Die Zuteilung erfolgte auf der Grundlage westdeutschen Umweltrechts, das mit Inkrafttreten der Umwelt-Union zwischen der DDR und der Bundesrepublik am 1.7.1990 auch in der DDR galt.
Zur rechten Zeit am richtigen Ort
Einen nicht zu unterschätzenden Anteil daran, dass der Aufbau von Verbandsstrukturen in der DDR funktionierte, hatte das Büro, das der DBV im Osten Berlins einrichtete und finanzierte. Von August 1990 bis März 1991 trieben Dr. Michael Succow, Dr. Rolf Caspar und die Büroangestellte Martina Böthner von dort aus den Aufbau des Naturschutzbundes im Osten voran. Michael Succow hatte das MUNER zur Jahresmitte verlassen und das Wahlamt des ersten Vorsitzenden des Naturschutzbundes der DDR übernommen. An seine Seite holte er sich den ehemaligen Sekretär der GNU, Rolf Caspar. Zu den Erfolgen des Berliner Büros zählte die Bewilligung eines Fördermittelantrags von einer Million DM zum Aufbau von Geschäftsstellen, die bei entsprechendem nachgewiesenem Bedarf um weitere 300.000 DM aufgestockt werden konnte.[1]
Am 26.9.1990 berieten Vertreter der Ost-Landesverbände im Berliner Büro, wie die Fördermittel eingesetzt werden sollten. Im ersten Anlauf konnten bereits 1.046.000 DM verteilt werden. Darunter Computerausrüstungen für den LV Sachsen, Büromaschinen für den LV Berlin-Ost oder 15 Stapelstühle für den LV Brandenburg. Aber auch kleinere Beträge für Wildblumen-Samenmischungen oder Bauchemikalien zur Abdichtung von Geschäftsräumen standen auf der Bedarfsliste.
Mit der konkreten Umsetzung war die Bonner Bundesgeschäftsstelle zuständig. Dort organisierten Günter Mitlacher und Bea Losem „Schreibtische, Büromaterial, Computer – sozusagen eine Basisausstattung für eine Geschäftsstelle plus Fahrzeuge, plus Motorsägen, Rasenmäher für die praktische Naturschutzarbeit“ Mit Lastwagen wurde das „Büromaterial nach Sachsen gefahren oder nach Thüringen“ oder „in der Geschäftsstelle in Ost-Berlin gelagert und von dort dann weiter verteilt.“ (Mitlacher).
Vielen Zeitzeugen erinnerten sich in diesem Zusammenhang lebhaft an die “blauen Ford Transit” Kleinbusse mit dem Celler Kfz-Kennzeichen “CE”, mit denen jeder Landesverband ausgestattet wurde und die im Naturschutzseminar Sunder abgeholt werden mussten.
Ausdruck der erfolgreichen Lobbyarbeit der Berliner und Bonner Büros des Naturschutzbund waren weitere Anträge, die im Herbst 1990 gestellt wurden. Dazu teilte Succow am 22.11.1990 in einem handschriftlichen Brief den Landesverbänden Ost mit, dass ihm „zu Ohren“ gekommen sei, dass bei der „jetzigen Außenstelle des BMU in Berlin“ noch nicht alle „zur Verfügung stehenden Fördermittel verteilt“ wären. Er ließ weiterhin wissen, dass er zusammen mit dem Bundesgeschäftsführer, Günter Mitlacher, „aus dem Handgelenk“ einige Anträge vorgebracht hatte. Dabei ging es um die Förderung des „Institutsvorhabens“ sowie insbesondere um Öffentlichkeitsarbeit zu Gunsten ostdeutscher Schutzgebiete.
Ob die Anträge jedoch eine Chance haben würden, stand auch für Succow zu diesem Zeitpunkt noch „in den Sternen“.
Der Erfolg ruft Kritiker auf den Plan
In der Rückschau verbinden sich mit den Fördermitteln eine Reihe von Mutmaßungen. Dr. Rolf Caspar erinnert sich, dass mit den Geldern die materielle Absicherung der Arbeit der Naturschutz-Fachgruppen gelang und die „Weichen für hunderte Fachgruppen und tausende Kulturbundmitglieder für den Weg in den NABU gestellt“ werden konnten. Der Neubrandenburger Umwelthistoriker Hermann Behrens spricht in dem Zusammenhang hingegen von einem „Coup“, der dem jungen Naturschutzbund geholfen habe, der GNU den „Todesstoß“ zu versetzen. „Seltsam“ sei seines Erachtens auch die Koppelung an die Anerkennung als Naturschutzverband nach § 29 BNatschG gewesen.[2]
Ob diese Einschätzungen einer später vorzunehmenden historischen Bewertung Stand halten werden, mag dahin gestellt sein. Ohne Zweifel stellte die Unterstützung eine wichtige Hilfe beim Aufbau der verbandlichen Strukturen des Naturschutzbund der DDR und der späteren Ost-Landesverbände des Naturschutzbund Deutschland dar. Eine weitaus größere Anziehungskraft in Richtung Naturschutzbund als die abstrakten Fördermittel dürften für viele Mitglieder der Kulturbund- und GNU-Naturschutzgruppen Gewährsleute und Vertrauenspersonen aus den eigenen Reihen gehabt haben. „Ihr müsst keine Angst haben, das sind nicht bloß Vogelschützer, die wollen auch wirklich Naturschutz auf die breite Ebene stellen“, gab der DDR-weit bekannte Feld-Herpetologe Dr. Justus Oertner, damals den Herpetologen, die nach einer neuen naturschutzfachlichen Heimat suchten, mit auf den Weg [3].
Nicht gering bewertet werden darf auch die Rolle Michael Succows, der als Geschäftsführer des neuen DDR-Naturschutzverbands einen klaren Orientierungspunkt bot, während sich andere Verbände entweder um die Zukunft sich auflösender Strukturen stritten oder nur „arrogante Jungsche“ als Anlaufstellen anboten.
Fußnoten:
[1] Brf. Succow vom 22.11.1990 an Ost-Landesverbände.
[2] Karl-Hermann Hübler: Naturschutz in den neuen Bundesländern …
[3] Interview Heinz Nabrowsky vom 5.10.09.2015
Text: Ralf Schulte